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Immer mehr Menschen aus anderen Kulturkreisen werden pflegebedürftig – doch nicht viele Einrichtungen können ihnen Pflegebehandlungen bieten, die ihren Glaubens- und Wertvorstellungen entsprechen. Was kultursensible Pflege bedeutet, erläutern wir mit konkreten Beispielen.
Spätestens seit den in den 1950er bis 1970er Jahren nach Deutschland zugewanderten Gastarbeitern und Gastarbeiterinnen nimmt der Bedarf an interkultureller Altenhilfe in Deutschland zu. Laut BAMF beträgt der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund aktuell 26 Prozent, davon haben 52,4 Prozent die deutsche Staatsangehörigkeit. Typische Migrationsländer sind die Türkei, osteuropäische Länder wie Polen, Tschechien, Rumänien sowie Griechenland und Italien.
Aber auch Kliniken entdecken das Potenzial von kultursensibler Pflege, denn Patientinnen und Patienten, die sich respektiert und ernst genommen fühlen, zeigen oft eine bessere Genesungsentwicklung. Wie sich kultursensible Pflege im Pflegealltag gestaltet, welche Ziele sie hat und welche Probleme dabei entstehen können, lesen Sie im Folgenden.
Kultursensible Pflege, auch multikulturelle Pflege genannt, verbindet Pflegeleistungen mit Kultursensibilität. Kultursensibel pflegen bedeutet, im Umgang mit Patienten und Patientinnen auf die religiösen und kulturellen Bedürfnisse einzugehen und ihnen eine Pflege nach ihren Wertvorstellungen und ihrem Glauben zu ermöglichen. Kultur umfasst dabei nicht nur Sprache und Religion, sondern auch Essgewohnheiten, Dialekte oder Werte wie Pünktlichkeit oder Großzügigkeit.
Bisher gibt es nicht viele Pflegeeinrichtungen, die über interkulturelle Kompetenz in der Pflege verfügen – häufig müssen Patientinnen und Patienten aus anderen Kulturen das der deutschen Kultur entsprechende Pflegeangebot annehmen. Diskriminierungserfahrungen und Abweisungen sind oft die Folge. Das soll sich durch die multikulturelle Pflege ändern.
Auch im Gesetz ist die Kultursensibilität in der Pflege verankert: „In der Pflegeversicherung sollen geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich der Pflegebedürftigkeit von Männern und Frauen und ihrer Bedarfe an Leistungen berücksichtigt und den Bedürfnissen nach einer kultursensiblen Pflege nach Möglichkeit Rechnung getragen werden.“ § 1 Abs. 5 SGB XI.
Die Essgewohnheiten in einigen Kulturen unterscheiden sich deutlich von denen, die in Deutschland gang und gäbe sind. So verzichten Patientinnen und Patienten mit islamischer Herkunft oft auf Alkohol und Schwein. Speisen werden in islamischen Glaubenskreisen in halal (rein) und haram (unrein) eingeteilt. Für gläubige Juden gelten ebenfalls Speisegesetze, die Lebensmittel als koscher (tauglich) oder treife (untauglich) klassifizieren. Hierunter fallen auch Zubereitungsarten, zum Beispiel die Trennung von Milchprodukten und Fleischerzeugnissen. Patientinnen und Patienten aus Asien verzichten meist ganz auf Milchprodukte und bei praktizierenden Hinduisten, zum Beispiel aus Indien oder Nepal, ist eine vegetarische Ernährung gängig.
Dass die Essgewohnheiten so unterschiedlich ausfallen, kann verwirrend und aufwendig sein, lässt sich jedoch einfach in den Pflegealltag mit aufnehmen: Fragen Sie Ihre Patientinnen und Patienten vor der Essensbestellung nach ihren Wünschen und Gewohnheiten, zeigen Sie ihnen ihr Angebot auf und kennzeichnen Sie deutlich, welche Nahrungsmittel tierisches Eiweiß, Milch und Fleisch enthalten.
Auch die Umsetzung der Körperhygiene kann sich je nach Patientin und Patient stark unterscheiden. So gelten beispielsweise im Islam bestimmte Waschrituale, unter anderem vor dem Gebet. Viele Patientinnen und Patienten bevorzugen bei der Waschung zudem eine gleichgeschlechtliche Pflegekraft und fühlen sich unwohl, wenn eine Pflegerin oder ein Pfleger des jeweils anderen Geschlechts sie bei der Waschung unterstützt. Teilen Sie daher möglichst Pflegerinnen den Patientinnen und Pfleger den Patienten zu und sprechen Sie mit dem oder der Gepflegten ab, welche Waschrituale wann und durch wen benötigt werden.
Gleiche Gesten, andere Bedeutung: Häufig führt die Gestik zu Missverständnissen im Pflegealltag. Umso wichtiger ist es in der kultursensiblen Pflege, sich mit den Gesten in der jeweiligen Kultur vertraut zu machen und bei Bedarf nachzufragen. Beispielsweise nicken die Bulgaren, wenn sie verneinen und schütteln den Kopf zur Bejahung. In Japan bedeutet ein Winken mit der Hand „Nein“, wird aber häufig für eine Begrüßung gehalten.
„Wer soll daran denn denken?“, fragen Sie sich sicherlich. Kultursensibel pflegen ist etwas, das man nicht an einem Tag lernt. Weiterbildungen und Ausbildungskurse legen den Grundstein, ständiges Dazulernen im Pflegealltag gibt den Pflegekräften Sicherheit. Wichtig ist, dass Sie sich merken: Niemand ist perfekt und niemand macht direkt alles richtig. Sprechen Sie offen mit Ihren Patienten und erklären Sie ihnen auch, weshalb vielleicht die ein oder andere Gewohnheit nicht befriedigt werden kann. So schaffen Sie auch Verständnis für Ihre Situation.
Kultursensibel zu pflegen, meint also, die religiösen und kulturellen Vorstellungen der Hilfebedürftigen in der Pflege zu berücksichtigen – mit dem Ziel, jedem Menschen eine Pflegeleistung nach seinen Bedürfnissen bieten zu können. Trotzdem kann sich die Kultursensibilität in der Pflege schwierig gestalten und Probleme mit sich bringen: Kultursensibel zu pflegen bedeutet, sich auf einen gegenseitigen Lernprozess einzulassen – das betrifft sowohl die Pflegefachkräfte als auch die Pflegebedürftigen.
Die erforderliche Anpassungsfähigkeit können die Umsetzung der Pflegebehandlungen kompliziert machen. Insbesondere, wenn die Patientinnen und Patienten kein Deutsch sprechen, kann es zu Missverständnissen kommen. Darüber hinaus erfordert eine multikulturelle Pflege ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen – auch für Glaubens- und Wertvorstellungen, die man selbst nicht teilt.
Mangelnde Wertschätzung in der Pflege, zahlreiche Überstunden, wenig Freizeit und häufige Konflikte im Team machen die Pflege zu einem fordernden Beruf – dabei auch noch auf die kulturellen und religiösen Bedürfnisse der Gepflegten einzugehen, scheint schier unmöglich. Doch genauso wie für die Pflegerinnen und Pfleger ein respektvolles Umfeld wichtig ist, ist es das auch für die Pflegebedürftigen.
So kann kulturspezifische Pflege im Alltag umgesetzt werden:
Ebenso wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen spielt die Kultur in der Pflege eine zunehmend wichtigere Rolle. Ein auf die Patientinnen und Patienten aus anderen Kulturen abgestimmtes Konzept soll die Kultursensibilität in der Pflege stärken und den Pflegebedürftigen in der Altenhilfe und in anderen Bereichen eine auf ihre Bedürfnisse ausgerichtete Versorgung bieten. Möglichkeiten der Umsetzung gibt es viele – und diese sollen zukünftig noch ausgebaut werden. In der multikulturellen Pflege arbeiten darf jedoch nicht jeder. Wer seine interkulturelle Kompetenz in der Pflege ausbauen möchte, muss dafür zunächst eine Ausbildung bzw. Weiterbildung absolvieren. Auf diesen Seiten finden Interessierte Informationen und Angebote rund um die kultursensible Pflege: