Wunder Muttermilch
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Wenn dein Baby etwa einen Monat alt ist, ist deine Muttermilch vollständig reif. Ab jetzt ändert sich die Zusammensetzung deiner Muttermilch nicht mehr wesentlich – es sei denn, dein Baby benötigt zusätzlichen Schutz
Etwa zwei Wochen nach der Geburt beginnt deine Milch, reif zu werden, aber sie ist erst vollständig reif, wenn dein Baby ungefähr vier Wochen alt ist. Ab jetzt ist die Zusammensetzung weitgehend stabil – sie wird sich definitiv nicht mehr so drastisch verändern wie im ersten Monat.
Kurz nachdem deine Milch reif geworden ist, enthält sie einen höheren Anteil an Inhaltsstoffen, die dein Baby gegen Bakterien- und Vireninfektionen schützen.1 Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass diese Phase der Milchproduktion zur gleichen Zeit stattfindet, wenn dein Baby anfängt, Gegenstände zu greifen und sie sich in den Mund zu stecken.
Aber die größte Änderung passiert, wenn du oder dein Baby eine Infektion habt. Dann steigt der Anteil der weißen Blutkörperchen in deiner Milch rasant an, um die Infektion zu bekämpfen.2
Wie in allen Phasen der Muttermilch ist reife Milch eine lebendige Flüssigkeit. Auch wenn wir exakt wüssten, woraus sie besteht und was all diese Inhaltsstoffe bewirken (woran Forscher immer noch arbeiten), könnten wir sie nicht genau kopieren, da die Milch jeder Mutter genau auf die Bedürfnisse ihres Babys zugeschnitten ist.
„Muttermilch besteht aus Inhaltsstoffen, die aus deinem Blut in deine Brüste gelangen“, erklärt Professor Peter Hartmann, ein Experte im Bereich Muttermilchproduktion an der University of Western Australia. „Die milchproduzierenden Zellen entnehmen die Inhaltsstoffe, die sie brauchen – und sie sind dabei sehr wählerisch!“
Muttermilch ist Nahrung, Schutz, Nährstofflieferant und Geschmacksformer in einem. Und trotzdem musst du dir darüber nie Gedanken machen, denn dein Körper bildet genau die Zusammensetzung, die dein Baby braucht.
Zu Beginn jeder Stillmahlzeit sieht deine reife Milch dünner aus und wird meist als Vordermilch bezeichnet, obwohl Professor Hartmann den Begriff „Vormilch“ bevorzugt. Während des Stillens bekommt deine Milch nach und nach einen höheren Fettgehalt und nennt sich Hintermilch oder Nachmilch.
„Der Fettgehalt hängt damit zusammen, wie voll oder entleert die Brust ist“, erklärt Professor Hartmann. „Der Fettgehalt steigt im Laufe der Stillmahlzeit an, bis ungefähr 30 Minuten danach, und sinkt wieder, wenn sich die Brust erneut füllt. Die Fettkonzentration der Vorder- und Hintermilch hängt davon ab, wie viel Milch das Baby aus der Brust entnommen hat. Daher kann die Vordermilch zu einem Tageszeitpunkt einen höheren Fettgehalt aufweisen als die Hintermilch zu einem anderem.“
„Sobald die Muttermilch reif ist, erhält das Baby so über einen Zeitraum von 24 Stunden ungefähr die gleiche Menge Fett, unabhängig davon, wie oft es gestillt wird“, fügt er hinzu.
Obwohl dein Baby mit Beikost anfangen sollte, wenn es ungefähr sechs Monate alt ist, kann Muttermilch bis weit in das zweite Lebensjahr – neben anderen Lebensmitteln – immer noch die Hälfte der täglichen Kalorienaufnahme ausmachen.3 Und deine einzigartige Milch spielt weiterhin eine Rolle, die viel mehr ist als reine Ernährung.
„Wir glauben, dass Säugetiere Milch anfangs zum Schutz ihrer Jungen produzierten und dass sich die Ernährungsfunktion erst später entwickelt hat“, erklärt Professor Hartmann. „Daher haben die meisten Inhaltsstoffe der Muttermilch, die der Ernährung dienen, auch eine bestimmte Schutzfunktion. Das heißt, dass Muttermilch unglaublich viel Wertvolles enthält, was die Forschung aber sehr schwierig macht!“
Er nennt ein paar Beispiele: Alpha-Lactalbumin, das Hauptprotein in Muttermilch, hat antibakterielle Eigenschaften und trägt zur Stimulation des Immunsystems deines Babys bei.4 Lactoferrin, ein Protein, das Eisen im Körper transportiert, hat auch antimykotische Wirkungen.5 Und die Fettsäuren in der Muttermilch sind auch antiviral und antibakteriell.6
Alle Milcharten enthalten den Zucker Laktose, aber Muttermilch enthält dazu noch mehr als 200 menschliche Milch-Oligosaccharide.7 Diese komplexen Zucker tragen zum Aufbau und Schutz eines gesunden Darms bei und entwickeln das Immunsystem. In Kuhmilch oder Säuglingsnahrung befinden sich nicht annähernd so viele Oligosaccharide, und Forscher untersuchen immer noch ihre genauen Funktionen.8
Ebenso enthalten alle Milcharten Fette, aber die Zusammensetzung der Fette in reifer Muttermilch ist einzigartig und komplex. Unser Gehirn ist komplexer als das anderer Tiere und, da mehr als die Hälfte des menschlichen Gehirns aus Fett besteht,9 leuchtet es ein, dass wir individuell angepasste Fettzutaten benötigen, um diese Komplexität aufzubauen.10
Menschen werden im Vergleich zu anderen Säugetieren zu einem frühen Entwicklungszeitpunkt geboren, aber während unserer ersten sechs Monate verdoppelt sich unsere Gehirnmasse fast.11 Daher ist es nicht überraschend, dass unsere Babys in ihren ersten Monaten und Jahren mehr Schutz und gehirnaufbauende Nahrung benötigen.
„Deine Muttermilch ist immer besser für dein Baby als jede Milch, die du im Geschäft kaufen kannst“
Proteine sind komplexe Moleküle, die viele wichtige Funktionen für unsere Gesundheit haben. Manche wirken als Bausteine für Wachstum und Reparatur, während andere dazu beitragen, dass die essentiellen chemischen Reaktionen in unserem Körper stattfinden können. Deine reife Muttermilch enthält mehr als 1000 verschiedene Proteine,12 die das Gehirn und Immunsystem deines Babys unterstützen und sein Wachstum fördern.13
Reife Muttermilch enthält zudem viele Mikronährstoffe: Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, von Kalzium bis Kadmium, um die Entwicklung und das Wohlbefinden deines Babys zu unterstützen. Das Gleichgewicht dieser verändert sich über den Tag, um sich den Bedürfnissen deines Babys anzupassen.14
Manche Inhaltsstoffe deiner Muttermilch überraschen dich vielleicht. „Reife Milch hat einen höheren Cholesteringehalt. Sie enthält viel Zucker in der Form des einfachen Kohlenhydrats Laktose. Und der Anteil an Proteinen ist extrem niedrig – er macht nur 7 % oder 8 % der Energieaufnahme eines gestillten Babys aus, verglichen mit ungefähr 12 %, wenn es älter wird“, verrät Professor Hartmann. „Das scheint uns für Erwachsene nicht passend, ist aber ideal für Babys und zeigt, wie Muttermilch speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.“
Einige Elemente der reifen Muttermilch können nicht nachgeahmt werden, da sie einzigartig für deinen Körper sind. Fast ein Drittel der guten Bakterien im Darm deines Babys stammt aus deiner Muttermilch und weitere 10 % stammen von der Haut deiner Brust selbst.15
Muttermilch enthält zudem Stammzellen, die „Wunderzellen“, die sich selbst erneuern und sich in andere Zellarten weiterentwickeln können.16 Forscher arbeiten immer noch daran, herauszufinden, welche Rolle sie in deiner Milch und bei der Entwicklung deines Babys spielen.
Es gibt auch in deiner reifen Milch Hormone, darunter einige, die zur Appetitregulierung beitragen und dazu, wie dein Baby Insulin verarbeitet.17 Dies kann ein Grund dafür sein, warum Kinder, die als Babys gestillt wurden, weniger wahrscheinlich übergewichtig werden als Kinder, die Säuglingsnahrung erhalten haben.18
Und da die Lebensmittel, die du isst, den Geschmack deiner Milch beeinflussen, kann dein Baby auch jeden Tag unterschiedliche Geschmacksrichtungen kosten19 – etwas, das Säuglingsnahrung nicht nachahmen kann.
„Die Unterschiede zwischen Muttermilch und Säuglingsnahrung sind enorm. Man könnte den ganzen Tag damit verbringen, die Unterschiede zwischen den Milcharten aufzuzählen sowie die Probleme bei der künstlichen Herstellung einer Milch für Babys“, so Professor Hartmann. „Der Salzanteil in Kuhmilch, die zur Herstellung von Säuglingsnahrung verwendet wird, kann beispielsweise für Babys giftig sein. Daher muss diese stark verarbeitet werden.“
„Egal, wie lange du stillst, deine Muttermilch ist immer besser für dein Baby als jede Milch, die du im Geschäft kaufen kannst oder die Wissenschaftler in einem Labor herstellen. Sie ist zudem eine sehr praktische und günstige Möglichkeit, dein Baby zu füttern, und hat wunderbare gesundheitliche Vorteile für dich und dein Kleines.“
Bei der Ernährung deines Babys ist Muttermilch wirklich die Crème de la crème.
1. Gao X et al. Temporal changes in milk proteomes reveal developing milk functions. J Proteome Res. 2012 Jul 6;11(7):3897-907.
2. Hassiotou F et al. Maternal and infant infections stimulate a rapid leukocyte response in breastmilk. Clin Transl Immunology. 2013;2(4):e3.
3. Dewey KG et al. Breast milk volume and composition during late lactation (7-20 months). J Pediatr Gastroenterol Nutr. 1984;3(5):713-720.
4. Lönnerdal B, Lien EL. Nutritional and physiologic significance of α-lactalbumin in infants. Nutr Rev. 2003;61(9):295-305.
5. Andersson Y et al. Lactoferrin is responsible for the fungistatic effect of human milk. Early Hum Dev. 2000;59(2):95-105.
6. Gardner AS et al. Changes in fatty acid composition of human milk in response to cold-like xymptoms in the lactating mother and infant. Nutrients. 2017;9(9):1034.
7. Moukarzel S, Bode L. Human milk oligosaccharides and the preterm infant: A journey in sickness and in health. Clin Perinatol 2017; 44(1):193–207.
8. Jantscher-Krenn E, Bode L. Human milk oligosaccharides and their potential benefits for the breast-fed neonate. Minerva Pediatr. 2012;64(1):83-99.
9. Chang CY et al. Essential fatty acids and human brain. Acta Neurol Taiwan. 2009 Dec;18(4):231-241.
10. TED. TEDWomen: What we don’t know about mother’s milk [Internet]. New York, NY, USA: TED Conferences LLC; 2016. [Accessed 26.03.2018]. Available from www.ted.com/talk/katie_hinde_what_we_don_t_know_about_mother_s_milk/reading-list
11. Dekaban AS. Changes in brain weights during the span of human life: relation of brain weights to body heights and body weights. Ann Neurol. 1978;4(4):345-356.
12. Beck KL et al. Comparative proteomics of human and macaque milk reveals species-specific nutrition during postnatal development. J Proteome Res. 2015;14(5):2143-2157.
13. Lönnerdal B. Infant formula and infant nutrition: bioactive proteins of human milk and implications for composition of infant formulas. Am J Clin Nutr. 2014;99(3):712S-717S.
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15. Pannaraj PS et al. Association between breast milk bacterial communities and establishment and development of the infant gut microbiome. JAMA Pediatr. 2017;171(7):647-654
16. Hassiotou F et al. Breastmilk is a novel source of stem cells with multilineage differentiation potential. Stem Cells. 2012;30(10):2164-2174.
17. Savino, F et al. Breast milk hormones and their protective effect on obesity. Int J Pediatr Endocrinol. 2009;2009:327505.
18. Horta BL et al. Long-term consequences of breastfeeding on cholesterol, obesity, systolic blood pressure and type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Acta Paediatr. 2015;104(467):30-37.
19. Mennella JA et al. Prenatal and postnatal flavor learning by human infants. Pediatrics. 2001;107(6):E88.
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